06.07.2020

Energie und Klimaschutz im Gebäudesektor

Klimaneutrale Gebäude und Quartiere – aber wie?

Jahresbericht von Univ. Prof. Dr.-Ing. M. Norbert Fisch

Worum geht's?

Klimaschutz und die Reduzierung des Ressourcenverbrauchs sind für die Gesellschaft eine enorme Herausforderung und eine der drängendsten Aufgaben auf den politischen Agenden. Im Gebäudebestand und bei Neubauten sollte die Ökobilanz durch politische Auflagen wie den Klimaschutzplan 2050 und das aktuell vom Bundestag und Bundesrat verabschiedete Gebäudeenergiegesetz (GEG 2020) etabliert werden. Dabei stellt sich grundlegend die Frage, wie das nationale Ziel „Nahezu Klimaneutral“ und erst recht das von der EU im „Green Deal“ gesteckte Ziel „Klimaneutralität in allen Sektoren“ technisch-wirtschaftlich erreicht werden können? Die öffentlichen Gebäude des Bundes und der Länder sollten beim klimaneutralen Bauen vorangehen, jedoch verhindern bestehende Regularien und ein überholtes „Wirtschaftlichkeitsgebot“ meist die Umsetzung und vereiteln damit die Möglichkeit einer Vorbildfunktion.


Ausgangslage – Chaos beim Bilanzraum Gebäude

Die Emissionsbilanzierung von Gebäuden wird in Deutschland sehr unterschiedlich gehandhabt und ist oft nur schwer nachvollziehbar. Grundsätzlich entstehen CO2-Emissionen bei der Herstellung, Verarbeitung und Montage der Bauprodukte (Vorketten) sowie der Konditionierung (Wärme, Kälte, Warmwasser, Beleuchtung, IKT) der Gebäude. Hinzu kommen indirekte CO2-Emissionen durch den Nutzerstrom, die bislang dem Sektor Energiewirtschaft zugeordnet werden. Der Gebäudesektor verursacht inkl. der Vorketten jährlich rd. 235 Mio. Tonnen Treibhausgasemissionen (THG). Dies entspricht rd. einem Viertel der CO2-Emissionen in Deutschland, Stand 2015. Auf die ca. 3,8 Mrd. m2 Wohngebäude entfällt davon ein Anteil von rd. 55 %. Die Nichtwohngebäude (GHD, Industrie) mit ca. 1,9 Mrd. m2 verursachen jährlich rd. 105 Mio. Tonnen CO2- Emissionen (45 %).

Nach dem Klimaschutzplan des BMUB (2016) umfasst der Bilanzraum von Gebäuden lediglich die direkten am Gebäude entstehenden Emissionen (Quellprinzip) – im Jahr 2014 rd. 119 Mio. t CO2.. Dies entspricht nicht einer ganzheitlichen Betrachtung nach dem Verursacherprinzip. Nach dem Quellprinzip werden beispielsweise die CO2-Emissionen des Netzstroms zum Betrieb der Wärmepumpen und der CO2-Footprint der Fernwärme nicht dem Gebäudesektor, sondern der Energiewirtschaft zugeordnet. Dies ist nicht plausibel und auch nicht zielführend, da meines Erachtens die Öl- und Gaskessel bis 2050 größtenteils durch elektr. Wärmepumpen ersetzt werden sollten. Auch sollten die THG-Emissionen, die bei der Herstellung und Sanierung der Gebäude entstehen, dem Sektor Gebäude und nicht der Industrie und/oder der Energiewirtschaft zugeordnet werden (Verursacherprinzip).

Mit dem Klimaschutzplan (BMUB, 2016) wird das Ziel verfolgt, bis zum Jahr 2050 einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen. Für die kommenden drei Jahrzehnte werden dezidierte CO2-Minderungsziele angestrebt. Bis 2030 sollen rd. 50 Mio. Tonnen direkte Treibhausgasemissionen (Quellprinzip) eingespart werden. Wie und mit welchen Technologien, vor allem aber welches Investitionsvolumen dies erfordert, wird unter Experten kontrovers diskutiert.


Was ist mit Klimaneutralität gemeint?

In der Politik reicht der Korridor von „nahezu klimaneutral“ (Energiekonzept, 2010, BMWi, Klimaschutzplan, 2016, BMUB), womit eine Reduzierung der Treibhausgas (THG)-Emissionen um ca. 80 % bis 2050 gemeint ist, bis zu einer echten Null-Treibhausgas-Bilanz, die die EU mit dem „Green Deal“ anstrebt. Die letzten 15 bis 20 % zur THG-Null-Emission sind technisch und insbesondere wirtschaftlich eine riesengroße Herausforderung und bedeuten einen überproportional hohen Aufwand. Meine Empfehlung für einen „nahezu klimaneutral im Bausektor“ adressiert die Bewohner von Stadtquartieren bzw. die Nettoraumfläche der Gebäude als Bezugsgröße. Die jährlichen anthropogenen CO2-Emissionen, die durch Gebäude und den Individualverkehr ihrer Nutzer verursacht werden, sollten weniger als 1 Tonne CO2 je Einwohner von Stadtquartieren betragen. Im Jahr 2014 waren es je Bundesbürger noch das Viereinhalbfache. Bezogen auf die Nettoraumfläche sollten für den „nahezu klimaneutralen“ Gebäudebestand die CO2-Emissionen nach dem Verursacherprinzip im Mittel auf unter 10 kg /(m2NRFa) reduziert werden. Bei Neubau ausschlaggebend sind die CO2-Emissionen ausschlaggebend, die zu Beginn des Lebenszyklus bei der Errichtung der Gebäude entstehen (s. Abb.). Diese indirekten CO2-Emissionen werden überrwiegend durch die Art der Baustoffe und den Materialeinsatz beim Rohbau hervorgerufen (Massivbau ca. 700 bis 1.000 kg CO2/m2NRF). Dieser „CO2-Offset“ sollte in die nächste Novellierung des Gebäudeenergie-Gesetzes (GEG) eingehen und als Bewertungsgröße für Neubauten und sowie bei Sanierungen Berücksichtigung finden. Durch Neubau und die Sanierung von Wohn- und Nichtwohngebäuden werden bis 2050 etwa 25 Mio. Tonnen CO2-Emissionen (im Mittel rd. 1 Mio. Tonne CO2 / a) hinzukommen. Zur Erreichung der Zielsetzung „nahezu klimaneutral“ sind diese zusätzlich zu kompensieren sind. Außer für Gebäude nach dem EffizienzhausPLUS-Standard steigen die kumulierten THG-Emissionen während der Nutzungsphase an (s. Abb.). Für ein 2016 errichtetes 5-geschossiges Wohngebäude, nach KfW 55 Standard und ohne PV-Anlage, ergibt sich in Bezug auf den „CO2-Offset“ bis 2050 etwa eine Verdopplung der kumulierten CO2-Emissionenin. Selbst mit dem EffizienzhausPLUS- Standard (Gebäude als Kraftwerk, maximale Solarisierung und Batterie) ist es nicht möglich, den „CO2-Offset“ aus der Bauphase (Massivbau!) über die Lebenszeit durch den Export von Solarstrom auszugleichen. Ein Grund dafür ist die weitere fortschreitende Decarbonisierung des Netzstroms (2020: ca. 480 g CO2/kWh, Ziel 2050: ca. 100 g CO2/kWh) und die damit stetige Verringerung der CO2-Gutschriften für die Einspeisung von Strom aus gebäudeintegrierter PV (GIPV).


„Nahezu Klimaneutraler“ Gebäudebestand bis 2050 – aber wie?

Die notwendigen Technologien sind verfügbar, auf neue Entwicklung zu warten ist eine Ausrede. Natürlich sind Forschung und Entwicklung auch weiterhin erforderlich. Innovative Systeme müssen entwickelt und Transformationsprozesse in der Praxis begleitet werden. Zu alldem braucht jetzt den Willen und die Akzeptanz der Bevölkerung sowie den Mut und die Entschlossenheit von Machern.

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